Leseproben
Das Buch - Die Geschichte einer Manipulation
Kapitel 1:
Der 25. Tag im Jahr 323. Rufus Thaddäus Santano saß am Schreibtisch seines Büros, hoch oben in der Pyramide auf Atlantis, und hatte den Kopf auf die Hände gestützt: "Ich mache mir Sorgen, Timmermann!"
"Sorgen, mein Führer?"
"Scheint, als würden wir einer gefährlichen Entwicklung entgegensteuern."
"Es ist aber überall vollkommen ruhig, mein Führer", entgegnete der Berater. "Unsere Ordnungstruppen halten alles unter Kontrolle."
"Ich meine keinen offenen Konflikt. Vielmehr brodelt es unter der Oberfläche. Wie eine Geschwulst, die heimlich vom Fleisch zehrt und wächst, bis sie als Beule sichtbar wird. Am Ende geht der ganze Körper daran zugrunde!"
"Die Bevölkerung kann sich nicht beklagen, mein Präsident! Noch nie ging es den Menschen so gut wie heute. Das, was unsere Vorväter begonnen haben, geht seiner Vollendung entgegen. Wir werden zum ersten Mal so richtig am Ziel sein!"
"Eben", antwortete Santano vieldeutig.
"Eben? Ich ... verstehe nicht, mein Führer."
"Wir werden am Ziel sein. Der Moment wird kommen - eigentlich ist er ja schon da -, an dem keine pausenlose Beschäftigung mehr nötig ist, um uns am Leben zu erhalten. Die Arbeit wird auf einem Mittelmaß stagnieren, einem Maß an Zeit, das den Menschen mehr ... mehr ... Dings, Sie wissen schon, zubilligen wird."
"Freizeit, Führer?"
"Freizeit, das ist das Wort! Verbieten Sie es, schnell! Oder nein: Sorgen Sie dafür, dass es die Bevölkerung erst gar nicht lernt!"
"Sie sehen also eine Gefahr in diesem Wort?"
"Ach, was kümmert mich das Wort! Worte sind Blabla, aneinandergereihte Buchstaben, nichts weiter. Nein: In dem Umstand sehe ich die Gefahr, in dem, was Freizeit bedeutet. Freie Zeit hat Muße zu verschenken, Zeit zum Nachdenken. Und Menschen, die denken, will ich auf meinem Planeten nicht haben!" Santano donnerte mit geballter Faust auf seinen Schreibtisch. "Ein für alle Mal: ich will das nicht haben!"
"Ich weiß schon, Führer. Aber wenn ich bemerken darf: Ein bisschen Gefühl könnte doch auch nicht schaden. Wenn wir es dann wirklich geschafft haben. Um, sagen wir, die Verständigung ein bisschen zu verbessern. Auf ein vertretbares Maß, sozusagen ..."
"Ein vertretbares Maß an Gefühl gibt es nicht. Gefühle bringen nur all das wieder, was wir mühsam verbannt haben: Hass, Neid, Unzufriedenheit, Eifersucht. Menschen, die unzufrieden sind, beginnen, sich ihre Chancen auszurechnen, finden, dass es ihnen besser gehen müsste, machen um kleiner Fortschritte willen alles wieder kaputt, brechen aus unserer Ordnung aus, rebellieren, gehen am Ende demonstrierend auf die Straße - und dann mir an den Kragen! Das kann und will ich mir nicht leisten!"
"Nicht alle Menschen sind gleich, mein Führer!"
"Es sind alles Nachfahren bedeutender Politiker, vergessen Sie das nicht. Das, was wie Vernunft aussehen mag, kann leicht Heimtücke sein. Kennen Sie sich denn so genau aus mit diesen verworrenen Köpfen? An die Erbmasse, die uns eines Tages das territoriale Anspruchsdenken zurückbringen könnte, wage ich gar nicht zu denken. Was tun Sie, wenn plötzlich jeder ... sagen wir, seinen eigenen Flecken Wüste da draußen besitzen will? Wenn sich die Menschen wegen Quadratmetern in die Haare kriegen? Nein, Timmermann, Sie scheinen sich über die Auswirkungen einer gefühlsorientierten Politik nicht im Klaren zu sein! Wenn wir je wieder aus sentimentalen Gründen an der Vergangenheit rühren, dann Gnade uns ... Gnade uns ... - herrje, wie hieß nur das Wort?!"
Santano überlegte fieberhaft, doch er fand es nicht. Und auch sein Berater machte ein sorgenvolles Gesicht, biss sich auf die Lippe, bohrte in der Nase und durchstöberte dabei sein bisschen Erinnerung auf der Suche nach dem gesuchten Wort. Zu guter Letzt suchte er die Umgebung ab in der Hoffnung, das Wort könnte noch irgendwo in dicken Lettern an den Wänden geschrieben stehen, doch als auch diese Anstrengung nicht von Erfolg gekrönt war, gab er auf und schüttelte den Kopf.
"Tut mir leid, Führer, aber wenn man so viel verbietet, vergisst man mitunter selbst ..."
Santano betrachtete seinen Berater mit Missfallen. Doch er hatte recht: Auch sie beide vergaßen. In einer Welt, in der so viel verboten war, verlor sich manches, nicht nur Worte, auch Erinnerungen. Vielleicht wäre das eine oder andere brauchbare Stück darunter gewesen? Etwas, das sich zu bewahren gelohnt hätte? Andererseits: Wozu aufheben, was doch nur Unruhe stiften könnte? Das wäre ein zu hohes Risiko für ein bisschen Nostalgie. Und Menschen, die an gestern dachten, würden schon bald das Morgen in Frage stellen. Nein, soweit dürfte es erst gar nicht kommen! Alles müsste so bleiben, wie es war, und wenn dann auch noch dieses verfluchte Gerücht nicht stimmte, dann, ja dann wäre wieder alles in Ordnung!
"Sagen Sie, Timmermann: eine einfache Welt ohne Intrigen, das war's doch, was wir aufbauen wollten?"
"Sicher, Führer."
"Na und? Haben wir das erreicht? Haben wir das unberechenbare menschliche Gehirn unter Kontrolle? Ich meine, es könnte doch plötzlich wieder aufbrechen, ganz überraschend, ohne Vorwarnung? Was, wenn sich Wissen und Erfahrung nicht nur durch äußere Einflüsse und eigenes Erleben vorantreiben ließen, sondern ... sagen wir, mitvererbt werden könnten, von Generation zu Generation? Wenn diese Eigenschaften in den Menschen schlummern, um auszubrechen in einer Gesellschaft, die wir längst für konditioniert halten? Vielleicht bin gerade ich dazu auserwählt, den Umsturz unserer Ordnung zu erleben, die Zerstörung aller unserer Werte durch einen neu ausbrechenden Individualismus? Vielleicht ändern sich die Lebensumstände, wenn sich die Arbeitsumstände verändern? Vielleicht ... modernisiert der Geist sich mit?"
"Aber, mein Präsident, ich bitte Sie!"
"Nein, nein: beschwichtigen Sie mich nicht! Ich mache mir große Sorgen. Unsere Lage wird ernster. Ich fürchte, wir müssen handeln."
Timmermann machte ein dummes Gesicht.
"Wie beurteilen Sie denn die Lernfähigkeit unserer Bevölkerung?", wollte Santano wissen.
"Gibt es etwas Neues zu lernen? Muss umprogrammiert werden?"
"Möglich ... Also?"
"Nun: schwach, würde ich sagen. Schwach, mein Präsident."
"Schwach. So ..."
"Natürlich reagieren die Menschen auf die üblichen Reize - besonders, wenn Bestrafung mit im Spiel ist."
"Gibt es noch etwas außer diesen Reizen? Glauben Sie, dass sie auf irgendetwas zurückgreifen können, eine Art Wissenspotenzial, das ihnen plötzlich eine Flut von Erkenntnissen bescheren könnte? Aus denen sie weiterlernen könnten ...? Ich meine, was passiert, wenn wir einmal einen Fehler machen? Und wissen nicht gleich, dass das ein Fehler werden wird? Weil wir eine solche Situation vorher noch nie gehabt hätten und quasi - man muss es zugeben - damit ein bisschen überfordert wären? Häh?" Er zwinkerte.
Timmermann räusperte sich. "Von solch schlummernden Potenzialen ist mir nichts bekannt. Ich selbst - wenn ich das sagen darf - halte die Bevölkerung für ziemlich ausgehöhlt. Sie wird sich bei Bedarf mit neuen Instruktionen auffüllen lassen."
"Auch mit falschen Instruktionen?"
"Mit jeder Instruktion, mein Führer!", verkündete der Berater voller Stolz.
Santano raufte sich die Haare: "Aber das ist es doch! Genau das ist doch unser Problem!"
"Haben wir ein Problem, mein Präsident?"
"Noch nicht! Aber was müssen wir tun, um unser Volk zu einer Verhaltensänderung zu zwingen, die nur unserem System dienlich ist?"
Timmermann überlegte angestrengt. "Nun, wir müssen unsere Instruktionen richtig anbieten."
"Richtig?", brüllte Santano, "Dann geben Sie zu, dass die Menschen bereits zwischen richtig und falsch unterscheiden können?"
"Ähm, ich wollte nur gesagt haben, dass sie in ihrer Trägheit, wie soll ich das sagen ..., auf bestimmte Reize spontan reagieren, andere aber nur mit Mühe aufnehmen. Würde allerdings nach einer langen Zeit ohne jede Information nur eine einzelne Nachricht zur Verfügung stehen, ganz exklusiv sozusagen, dann würde diese Neuigkeit gierig akzeptiert werden ohne Rücksicht auf ihren Gehalt, verstehen Sie? Nur, weil sie neu wäre ..."
Santano hatte es geahnt: "Es ist also nicht mehr so einfach?"
Timmermann zuckte die Schultern. "Nein, nicht mehr ganz so einfach, gewiss. Seit die Menschen mehr Zeit haben ..."
"Also? Was schlagen Sie vor?"
Timmermann überlegte lange. Schließlich erhellte sich sein Gesicht. "Wir müssen die Menschen in ihrer freien Zeit einfach neu beschäftigen! Mit etwas beschäftigen, das ihnen das Gefühl der Freiheit vermittelt. Sie dürfen nicht merken, dass sie neu verplant werden ..."
"Und was bedeutet das konkret?"
"Selbstbestimmung - in unseren Grenzen. Auf so etwas fliegen die Leute bestimmt."
"Fliegen?", brüllte Santano, "Das kommt gar nicht in Frage. Wie können Sie dieses Wort so leichtfertig in den Mund nehmen? Sie wissen doch, dass Fliegen bei Todesstrafe verboten ist!"
Timmermann duckte sich. "Jawohl, mein Führer."
Der dicke Präsident erhob sich schwerfällig aus seinem Sessel. "Ich habe an Sport gedacht."
"Sport?"
"Ja, natürlich. Sie wissen doch: diese blöde körperliche Ertüchtigung, bei der man kräftig schwitzt und nachher müde ins Bett fällt. Außerdem ist Sport nicht Arbeit, kann daher als Freizeit angesehen werden und kommt uns nicht in die Quere. Und wer müde ist, will nicht mehr nachdenken."
"Genial, mein Führer! Aber - wie macht man Sport?"
Santano musterte seinen Berater von Kopf bis Fuß. "Lassen Sie sich etwas einfallen - wozu sind Sie mein Berater?"
"Natürlich, mein Präsident. Das war alles für heute?"
"Ja. Äh, nein, noch nicht ganz!" Santano leckte sich über die Lippen. "Ich, ähm, ich brauche mal wieder was Neues. Für mich persönlich. Sie wissen schon ... Haben Sie nichts, das Sie mir empfehlen können?"
"Ich weiß schon", antwortete Timmermann, "Aber das ist schwierig."
"Nicht so was Kaltes ..."
"Ja, ja, ich weiß schon Bescheid. Doch leider - ich bedauere das selbst - sind inzwischen alle so; es macht keinen rechten Spaß mehr mit ihnen. Und das betrifft nicht nur die Frauen, auch die Männer. Sie sind alle willig, gewiss. Aber diese Kälte, diese Gleichgültigkeit ... Deswegen dachte ich, ich meine, sollten wir nicht doch vielleicht ... ein bisschen Gefühl ...?"
"Schlagen Sie sich das aus dem Kopf! Sie wissen genau, dass sich Gefühle nicht auseinanderdividieren lassen!"
"Aber, wir könnten das doch steuern, so wie alles andere ..."
"Wissen Sie, wie eine Masse reagiert, wenn der Faktor Gefühl ins Spiel kommt?"
"Ich gestehe ..., nein."
"Wie können Sie dann sagen, Sie können das steuern?"
"Ich dachte nur, dass die Kombinationsfähigkeit, also das Verknüpfen von Zusammenhängen ... nicht so stark, vielmehr kaum ..."
"Sie haben von den Menschen und ihren Reaktionen keine Ahnung, geben Sie es zu!"
Der Berater kleinlaut: "Jawohl, mein Präsident! Aber jetzt, da Sie mir die Zusammenhänge aufgezeigt haben zwischen, ähm, dem kollektiven Dings ... und einem Mehr an Zeit, also Gefühl und Individualität, jetzt plötzlich tun sich Abgründe auf und ich finde: Wir sollten schleunigst handeln, bevor es ein anderer tut!"
Santano fragte sich, was er verbrochen hatte, um mit diesem Menschen gestraft zu sein. Andererseits machte ihn seine Unterwürfigkeit zu einem idealen Werkzeug. Und einen Besseren gab es derzeit auf dem ganzen Planeten nicht.
"Bevor es ein anderer tut ...", murmelte er. Solange unter der Bevölkerung die Furcht vor den Truppen grassierte, waren die Truppen stark. Solange die Truppen stark waren, war ihr Präsident gefürchtet. Was aber, wenn ein kleiner Fehler seine Position ins Wanken brächte? Bevor es ein anderer tut ... Gab es ihn schon, diesen anderen? Jetzt schon? Heute? Santano musterte seinen Berater scharf. "Haben Sie auch schon davon gehört?"
"Wovon, mein Präsident?"
"Von diesem ... Gerücht?"
Jetzt wurde Timmermann unbehaglich zumute. Er hatte den Präsidenten eigentlich nur am Rande darauf stoßen wollen, auf dieses Problem, denn es war ein heikles, das mit Vorsicht behandelt werden wollte. Allerdings: Sollte das stimmen, was man so hörte, wäre ihre ganze Planung über den Haufen geworfen worden! Ihm blieb keine Wahl, also gestand er frei heraus: "Ja, ich habe auch davon gehört ..."
"Schöne Scheiße!", entfuhr es Santano. "Wann?"
"Heute früh. Auf dem Weg hierher. Und Sie, mein Präsident? Wann ...?"
"Gestern Abend. Ich konnte es erst gar nicht glauben."
"Dann ist es also wahr?"
"Man sagt, die Menschen tuscheln hinter vorgehaltener Hand."
"Ich habe gehört, sie stecken sich heimlich Zettelchen zu."
"Auch das. Aber was das Schlimmste ist: Sie reden miteinander! Selbst Teile der Truppen sollen schon betroffen sein - wobei ich das nicht glauben kann ..."
"Wie gesagt, mein Präsident: ein bisschen mehr Gefühl ..."
"Ach, Sie meinen, die Leute holen sich das jetzt woanders?"
"Offenbar brauchen sie das wirklich."
"Meinen Sie, Timmermann? Ich habe das ungute Gefühl, kaum dass wir von diesen Schwierigkeiten gehört haben, haben sie uns schon eingeholt ..."
Der Berater zuckte hilflos mit den Schultern. Auf solche Probleme war er nicht vorbereitet. Wenn die Führung auf Atlantis ins Wanken geriet, wollte er mit dem Präsidenten nicht in einem Atemzug genannt werden. Und wenn die Unterwanderung des Systems wirklich derart explosiv vonstattenging, dass Santano und er innerhalb weniger Stunden an verschiedenen Plätzen davon gehört hatten, dann wäre es für ein Einschreiten höchste Zeit!
"Ich habe gehofft, es ist nur ein böser Traum!", seufzte Santano und versuchte mit ein paar tiefen Atemzügen neue Kraft, vielleicht auch ein paar gute Ideen zu schöpfen, denn gute Ideen waren rar geworden in einer Welt voller Vorschriften. Sollte also wahr sein, was da als Gerücht durch die Straßen schlich, dann wäre es höchste Zeit für gute, neue, für mitreißende Ideen.
"Ein Philosoph ist doch so etwas wie ein Denker, nicht wahr?"
"So was in der Art", bestätigte Timmermann.
"Einer, der sich mit Logik und Moral befasst? Mit Erkenntnis?"
"Das könnte so stimmen", bestätigte Timmermann.
"Und ... die Bevölkerung weiß das auch? Was ein Philosoph so tut? Was das Wort bedeutet?"
"Ich denke, nein."
"Denken, denken! Ich will wissen, was Sie wissen!"
"Nein, die Bevölkerung weiß das nicht!", entgegnete Timmermann bestimmt, "Kann das gar nicht wissen. Das Wort und seine Definition kommt in unserem Unterrichtsprogramm nämlich nicht vor."
"Gut. Aber was passiert, wenn sie's lernt?"
"Wir werden die Definition vorwegnehmen."
"Was ändert das? Wenn der Philosoph mit den Menschen in Kontakt treten kann, kann er ihnen die richtige Definition auch selbst geben."
"Wir müssen ihn schnappen, bevor er Unheil anrichtet."
"Endlich ein vernünftiger Vorschlag! Und wie?"
"Bisher haben wir nur seine bekritzelten Zettelchen."
"Haben Sie eins in der Hand gehabt?"
"Nein. Aber ich habe gehört, dass alle dieselbe Botschaft tragen."
"Da irren Sie sich. Ich habe von zwei verschiedenen Botschaften gehört."
"Zwei? Innerhalb weniger Stunden? Dann könnten es morgen ja schon drei oder vier sein ..."
"Die Stadt ist groß", überlegte Santano. "Aber bei entsprechenden Inhalten könnte die Verbreitung noch schneller vor sich gehen. Oh, Timmermann, was ist nur in mein Volk gefahren?"
"Kann er ein Spion von Pythagon sein? Einer, der die Macht auf Atlantis an sich reißen will?"
Santano lachte. "Einer von diesen Traumtänzern? Ausgeschlossen! Pythagon steht für Gewaltlosigkeit, Nächstenliebe und diesen ganzen Kram. Außerdem sind das alles Memmen - von denen hat doch keiner den Mumm für eine Revolution!"
"Es könnte ein Überläufer sein, der sich bei uns bessere Chancen ausrechnet?"
Santano grinste. "Gibt es unzufriedene Pythagoner?"
"Sie haben recht, mein Führer: Nein, davon ist nichts bekannt."
"Also, dann gibt es nur zwei Möglichkeiten: Erstens: der ganze Planet steckt dahinter, hat uns zwei Jahrhunderte lang über seine wahren Absichten getäuscht und will uns jetzt annektieren ..."
"An Eck - was?"
"Vergessen Sie's. Oder zweitens: es ist einer von uns!"
"Einer von uns?", fragte Timmermann ungläubig.
"Ich weiß, dass das unwahrscheinlich klingt. Aber es wäre durchaus möglich, dass er all die Jahre auf die richtige Gelegenheit gewartet hat. Menschen, die rund um die Uhr schuften, haben keine Zeit für einen Philosophen. Jetzt allerdings ..."
"Aber wer sollte das sein? Ein Bergmann? Ein Chemiewerker? Ein Bürobote? Oder - beim alten Santano - einer aus unserer Ordnungstruppe? Unsere Männer kommen schließlich überall hin, denen ist keine Tür versperrt."
Santano dachte angestrengt nach. "Er nennt sich alter Philosoph, nicht wahr? Nun, nachdem wir alte Menschen keiner strengen Kontrolle mehr unterziehen, könnte er auf diese Weise seine Botschaften unter die Leute bringen."
"Was hat einer davon, wenn er mit der Wahrheit erst rausrückt, wenn er alt geworden ist?"
"Gnade vor Recht, das ist doch klar! Er hofft, dass man ihn verschont, wenn man ihn erwischt." Santano sah seinen Berater plötzlich scharf an: "Sagen Sie, haben Sie eben Wahrheit gesagt? Ich warne Sie, nehmen Sie dieses Wort nicht so leichtfertig in den Mund!"
"Aber ich wollte doch nur ..."
"Seien Sie still! Glauben Sie, dass er dieses ... dieses Ding wirklich besitzt? ... Timmermann? ... Nun antworten Sie schon!"
"Das BUCH?"
"Hm?"
"Was weiß ich? Wie soll es möglich gewesen sein, in unserer Stadt all die Jahre ein Buch zu verstecken? Es müsste doch durch die Generationen weitergegeben worden sein. Ein paar hundert Menschen hätten davon wissen müssen! Geheimnisse von dieser Bedeutung bleiben doch nie ganz geheim. Aber gehört hat man nichts. Nicht das Geringste!"
"Ein Einziger in jeder Generation hätte schon genügt."
"Ja. Aber das ist unwahrscheinlich."
"Ob das, was da drinsteht, auch wirklich die Wahrheit ist?"
"Ich weiß es nicht, mein Führer."
"Nehmen wir es mal an. Glauben Sie, dass wir uns dann auch verändern würden, wenn wir von dieser neuen Wahrheit erfahren?"
"Das hoffe ich nicht. Bisher war ich mit meinem Leben nämlich ganz zufrieden."
"Also, dann schnappen Sie den Kerl! Aber unauffällig. Picken Sie ihn so behutsam aus der Stadt heraus, dass es gar nicht auffällt, dass er fehlt!"
"Die Handschrift wird ihn verraten", gab sich Timmermann zuversichtlich.
"Also gut. Dann gehen Sie endlich!"
Santano schauderte. Ein Buch auf Atlantis - nicht auszudenken. Nicht genug, dass Pythagon dort oben existierte und der Bevölkerung Tag und Nacht über den Köpfen schwebte - nun streckte auch noch ein geheimnisvoller alter Mann die Finger nach seinen perfekt konditionierten Untertanen aus, steckte scheinbar schon mitten unter ihnen und pflanzte Systemschädigendes in ihre Köpfe.
...
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